Alles, was Recht ist?

Als im letzten Jahr bekannt wurde, dass Alexander Kienzle, ein linker Anwalt, Johannes Domhöver auch in einem Sexualstrafverfahren verteidigt hatte, war der Schock zunächst groß. (ak 684) Domhöver ist einer der Beschuldigten im Paragraf-129-Verfahren gegen Lina E. und andere, dem zugleich Sexualstraftaten vorgeworfen wurden. Ein linker Anwalt, der in einem Sexualstrafverfahren verteidigt? Wie konnte das sein? Es müsste doch, so unsere Annahme, eigentlich Konsens sein, dass linke Anwält*innen keine Sexualstraftäter verteidigen.

Der Frage, wie es dazu kommen konnte, sind wir seit September 2022 im Rahmen einer längeren Recherche auf den Grund gegangen. Wir sprachen mit verschiedenen Strafverteidiger*innen, die sich im linken Republikanischen Anwältinnen – und Anwälteverein (RAV) organisieren, mit Leuten aus dem Soli-Antifa-Ost-Kreis und der Roten Hilfe. So fanden wir heraus, dass das, was wir für einen Skandal hielten, für einen großen Teil linker Strafverteidiger*innen selbstverständliche Praxis ist, die teils auch als politisch notwendig dargestellt wird.

Die Causa Domhöver

Als der Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte im September 2021 begann, war bereits klar, dass es noch weitere Beschuldigte in diesem auch Antifa-Ost-Verfahren genannten Ermittlungskomplex gibt. Einer davon ist Johannes Domhöver. Bei der Durchsuchung seines E-Mail-Postfachs waren Beamt*innen des LKA Sachsen im Februar 2021 auf eine E-Mail aus dem Jahr 2017 gestoßen, in der seine Ex-Partnerin Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn erhoben hatte. Die Staatsanwaltschaft eröffnete sogleich ein Verfahren gegen Domhöver.

Eine bessere Gelegenheit würde sich für die Strafverfolgungsbehörden wohl kaum ergeben, um einen der Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren zum Auspacken zu bewegen. Das ahnten auch einige der involvierten linken Jurist*innen, die nun eine Befürchtung hatten: Wenn ein anderer Anwalt die Verteidigung Domhövers im Sexualstrafverfahren übernehmen würde, könnte Domhöver von den Sicherheitsbehörden abgeworben werden. Daraus entstand der Plan, Kienzle, der Domhöver im 129-Verfahren verteidigte, auch auf das Sexualstrafverfahren anzusetzen, um so die Chancen zu erhöhen, dass Domhöver nicht umkippt. Von diesen Absprachen berichteten uns verschiedene Quellen unabhängig voneinander.

Alexander Kienzle tat dann das, was ein guter Strafverteidiger tun muss: Er verteidigte Domhöver mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Er attackierte die Glaubwürdigkeit der Betroffenen und behauptete, dass es sich um konsensuellen Sex gehandelt habe. Kienzle erreichte die Einstellung des Verfahrens, noch bevor es überhaupt zu einer Hauptverhandlung gekommen war.

Gute Strafverteidigung hat zum Ziel, das bestmögliche Ergebnis für den*die Mandant*in zu erreichen. »Damit muss ich auch Mittel wählen, die ausschließlich dafür gemacht sind, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Verletzten zu erschüttern und die Glaubwürdigkeit der Person zu zerstören«, erklärt Ronska Grimm, Berliner Anwält*in und Mitglied des RAV. Vergewaltiger zu verteidigen, heißt also immer, misogyne Erzählungen und Diskriminierungsmechanismen zu nutzen, um Beschuldigte zu schützen. Wenn Strafverteidiger*innen das nicht tun wollen, können sie diese Fälle nicht übernehmen. »Entweder man verteidigt richtig, oder man lehnt das Mandat ab. Es gibt keinen Mittelweg«, sagt Grimm.

Kurze Zeit nach Einstellung des Sexualstrafverfahrens im Juni 2022 wurde bekannt, dass Domhöver nun mit den Behörden gemeinsame Sache machte und im Antifa-Ost-Verfahren als »Kronzeuge« auftreten würde. (ak 684) Mittlerweile hat er umfänglich gegen u.a. Lina E. ausgesagt – und wenngleich diese Aussagen vor allem aus heißer Luft und Behauptungen bestanden, sind sie trotzdem dann problematisch, wenn das Gericht ihm Glauben schenken sollte.

Die Strategie von Kienzle und Co. ist also nicht aufgegangen. Die Fehleinschätzung, die dem zugrunde liegt, ist keinesfalls ein skandalöser Einzelfall, sondern Folge der entpolitisierten Haltung vieler linker Strafverteidiger*innen zu Sexualstraftaten. Die Strafverteidigerin Gabriele Heinecke bringt das in einem schriftlichen Streitgespräch innerhalb des RAV wie folgt auf den Punkt: »Die Verteidigung in Sexualstrafsachen hat nichts mit Feminismus, Sexismus oder Diskriminierung zu tun. Es ist die Tätigkeit der Strafverteidigung in einem besonders sensiblen Bereich, aber es ist normales Metier.« (1)

Die Debatte im RAV

Schon seit mehr als zehn Jahren tobt eine Debatte in der linken Anwaltsbubble über dieses »ganz normale Metier«. Auslöser dafür war eine Seminarankündigung aus dem Fortbildungsprogramm des RAV im Jahr 2010. Hierin hieß es: »Die Verteidigung gegen Vergewaltigungs- oder Missbrauchsvorwürfe bedeutet für den Verteidiger/die Verteidigerin oft die Auseinandersetzung mit einer besonders feindlichen, emotionsgeladenen Prozesssituation. Hier ist die Verteidigung zum Schutz der Beschuldigtenrechte und zum Kampf um ein rechtsstaatliches Verfahren besonders gefordert, sieht sich der Mandant doch häufig einer unerträglichen Vorverurteilung ausgesetzt. In keinem Bereich der Strafverteidigung wirken sich die vielfach neu geschaffenen ›Opferrechte‹ derartig aus. Nirgendwo sonst findet eine derartig direkte Einflussnahme von ›Opferschutzorganisationen‹ auf das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung statt.«

Welche Auffassung sich hier hinter den Anführungsstrichen bei dem Wort Opferrechte verbirgt, verdient einen weiteren Artikel. Hier nur so viel: Auch die Frage, ob Nebenklagen zur Vertretung der Opferrechte in Sexualstrafverfahren legitim sind, ist kontrovers.

Diese Seminarankündigung illustriert eine bestimmte Rechtsauffassung, die viele linke Strafverteidiger*innen aus ihrer Profession an sich, aber auch aus ihrer politischen Haltung gegenüber dem Staat ableiten, nämlich, dass der übermächtige Staat zuungunsten von Beschuldigten agiert und es deshalb die zentrale Aufgabe ist, die Beschuldigtenrechte zu verteidigen. So weit, so nachvollziehbar.

Allerdings gilt das zwar für Beschuldigte in Sexualstrafverfahren, nicht aber für Nazis oder Polizist*innen – hier wird von linken Strafverteidiger*innen der politische Trennstrich gezogen. Warum? Wäre es dann nicht nur konsequent, auch diese Täter*innen zu verteidigen?

Das Argument, dass Polizist*innen, die etwa wegen Amtsmissbrauch oder Polizeigewalt angeklagt werden, sowieso die ganze Macht des Staates im Rücken haben, ist natürlich nicht falsch, und statistisch gesehen haben sie kaum eine Verurteilung zu fürchten. Und auch, wenn es gegen Nazis geht, sehen linke Anwalt*innen keine Veranlassung, ein Mandat zu übernehmen. Auch hier wirke die schützende staatliche Hand vielfach zugunsten der Nazis – auch hier niedrige Verurteilungsquoten. Also kein Bedarf.

Die überdurchschnittlich hohen Freispruchquoten bei Sexualstrafverfahren, werden jedoch anders interpretiert, denn der Staat sei in diesen Fällen nicht involviert. Die hohen Freispruchquoten resultierten nicht daraus, »dass Zeuginnen im Prozess so verunsichert würden (immerhin sind die Nebenklägerinnen inzwischen i.d.R. von einer Nebenklagevertreterin, einer psychosozialen Prozessbegleiterin und meist auch noch von einer gerichtlichen Zeugenbetreuung begleitet), sondern dass nicht selten nach fachgerechter Befragung bei der aussagepsychologischen Beurteilung nicht von einer Glaubhaftigkeit der Aussage ausgegangen werden kann«, so Strafverteidigerin Heinecke im schriftlichen Streitgespräch des RAV. 

Aussagen wie diese sind Ausdruck eines misogynen Verständnisses von sexueller Gewalt. »Vergewaltigungsmythen sind weit verbreitet«, sagt Ronska Grimm und meint damit, dass auch linke Anwält*innen sexuelle Gewalt und die Verantwortung der Täter für Übergriffe aufgrund misogyner Einstellungen bagatellisieren. Die Behauptung, dass die hohe Freispruchquote in Sexualstrafverfahren zeige, dass eigentlich Falschaussagen der Betroffenen das Problem seien, ist eine aus feministischer Sicht altbekannte betroffenenfeindliche Annahme und statistisch widerlegt.

Der Stand der feministischen Debatte ist also ein anderer als unter einem großen Teil linker Strafverteidiger*innen. Feminist*innen erkämpften in den 1970ern das Recht für Betroffene von sexueller Gewalt, sich selbst im Rahmen einer Nebenklage in Strafprozesse einzubringen – um den patriarchalen Machtverhältnissen im Gerichtssaal etwas entgegenzusetzen. Die nach wie vor hohen Freispruchquoten zeigen, dass das nicht zu einer wirklichen Veränderung geführt hat. »Eigentlich braucht man nicht mal eine gute Verteidigerin in Sexualstrafverfahren bei Aussage-gegen-Aussage-Situationen. Als Beschuldigter im Sexualstrafverfahren kann man in diesen Fällen zumindest in Berlin ohnehin mit einem Freispruch rechnen, da die Anforderungen an ihre Aussage so hoch sind, dass viele Verletzte sie nicht erfüllen können. Man müsste das gesamte System überdenken«, beschreibt Ronska Grimm die Lage in Berliner Gerichtssälen – gut 50 Jahre nach Einführung der Nebenklage. Gesprächspartnerinnen aus anderen Städten bestätigten die Einschätzung.

Eigentlich braucht man nicht mal eine gute Verteidigerin in Sexualstrafverfahren bei Aussage-gegen-Aussage-Situationen. Als Beschuldigter im Sexualstrafverfahren kann man in diesen Fällen zumindest in Berlin ohnehin mit einem Freispruch rechnen.

Ronska Grimm

Wir würden begrüßen, wenn jemand den Beweis anträte, dass sich an der damals vorgefundenen Situation, nämlich an den patriarchalen Machtverhältnissen und an der Arbeit von Staatsanwaltschaften, Polizei und Gerichten, etwas nennenswert geändert hätte. Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass die Weigerung, dem eigenen Handeln eine feministische Analyse zugrunde zu legen und die Betroffenenfeindlichkeit von Staatsmacht und Gesellschaft anzuerkennen, zeigt, dass Teile der linken Anwaltschaft auf einem Debattenstand von vor 1970 stehengeblieben sind.

Was folgt?

Den Grundsatz, aus politischen Gründen keine Vergewaltiger zu verteidigen, vertritt nur eine Minderheit der sich als links verstehenden Strafverteidiger*innen. »Es gibt im Prinzip drei Gruppen: Die, die mit Ansage auch Vergewaltiger verteidigen. Die, die es nicht tun, weil es dann Gegenwind von Feminist*innen gibt und sie den Stress nicht wollen. Und schließlich die, die das aus politischen Gründen ausschließen«, erklärt eine Anwältin, die anonym bleiben möchte.

Von einem Konsens, dass Vergewaltiger nicht verteidigt werden, kann also keine Rede sein. Kienzle hat also nur seinen Job gemacht – genau so, wie viele linke Strafverteidiger*innen es regelmäßig tun. Was einen realen Unterschied zu machen scheint, sind feministische Interventionen, wie beispielsweise Prozessbegleitungen, wenn vermeintlich linke Anwält*innen Vergewaltiger oder gar in Feminizid-Fällen verteidigen. In der Jurist*innenbubble scheinen die Argumente indes ausgetauscht, die Fronten verhärtet. Ein Wille, sich zu bewegen, ist nicht erkennbar. Vielleicht hilft es, wenn diese Diskussion im Nachgang des Antifa-Ost-Verfahrens breiter geführt wird.

Anmerkung:

1) Siehe Feministischer Infobrief #121, 2021, zu finden auf rav.de/publikationen.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.

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Über einen Kamm geschert

Wohnungslosigkeit gilt als »Männerproblem«. Dabei sind gut ein Drittel der insgesamt 262.600 wohnungslosen Menschen in Deutschland Frauen, so der 2022 erschienene Bericht zu »Ausmaß und Struktur von Wohnungslosigkeit« des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

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Der heilige Vater

Hilfestrukturen sollten Alleinerziehenden dem Namen nach eigentlich helfen. Dass das nicht immer der Fall ist, erleben in Deutschland alleinerziehende Mütter, die nach einer Trennung mit dem Jugendamt in Kontakt kommen. Seit mehreren Jahren kritisieren feministische Aktivist*innen und alleinerziehende Mütter, dass Behörden aufgrund ideologisch gefällter Entscheidungen Kinder in Obhut nehmen und/oder dem Vater übergeben würden.

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»Da verheizen sich die Leute«

Ina Q. ist seit den 1990er Jahren in antifaschistischen und feministischen Gruppen aktiv. Im Gespräch mit ak erklärt sie, warum sich so wenig am Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Linken ändert und wieso sich Unterstützungsgruppen weiterbilden und vernetzen sollten.

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Tödlicher Nebenwiderspruch

Wenn Malte nicht gestorben wäre, hätten wir dann eine Debatte über »stark ansteigende Queerfeindlichkeit«? Vermutlich nicht. Malte C. war Ende August auf dem CSD in Münster transfeindlich beleidigt und niedergeschlagen worden. Wenige Tage später starb er im Krankenhaus. Kurz darauf wurde eine 57-jährige transgeschlechtliche Frau in einer Bremer Straßenbahn unter anderem ins Gesicht geschlagen. 15 Kinder und Jugendliche feuerten den jugendlichen Täter lautstark an. Die Betroffene kam ins Krankenhaus. Wenig später griff ein 16-Jähriger in Berlin eine transgeschlechtliche Frau unter anderem mit einem Backstein an. Das ist schrecklich, und es ist Alltag.

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Linksliberaler Cringe

In der 3sat-Mediathek kann man sich seit kurzem eine neue Dokureihe von Mo Asumang anschauen, in der die Regisseurin Menschen mit »extremen Meinungen«, wie es im Ankündigungstext heißt, kennenlernt. Drei der vier Dokus werden von rechten Narrativen zusammengehalten: Fundamentalistische Christ*innen, Homofeinde und Männerrechtler werden besucht und befragt. Die andere dreht sich um Linksradikale.

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Wer dreht den Gashahn zu?

Viele junge Menschen drängen sich an den Gebäuden der Landungsbrücken in Hamburg in den Schatten. Sie tragen Fahnen und Transparente der Klimabewegung. Die Sonne knallt auf den Parkplatz vor ihnen, wo der Lautsprecherwagen seine Ansagen über die Straße pustet. Wo sonst Tourist*innen ihren Friesennerz an der Hafenkante spazieren tragen, ist Anfang August wenig vom Hamburger Schietwetter zu merken. Dass kurz zuvor der heißeste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vermeldet wurde, passt zum Anlass der Menschenansammlung: Sie sind größtenteils wegen des Klimacamps mit dem Namen »System Change« nach Hamburg gekommen, in dessen Rahmen auch diese Demonstration stattfindet.

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Verräter gehen, Vergewaltiger bleiben

Johannes Domhöver, einer der Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren, wurde im Oktober 2021 im linken Internetforum Indymedia von zwei Betroffenen als sexuell und psychisch gewalttätig geoutet. Gleichzeitig ist Domhöver im Antifa-Ost-Verfahren angeklagt, in dessen Rahmen er sich nun entschloss, mit der Polizei zu kooperieren. Im Frühjahr bereits war ein weiteres Strafverfahren wegen Vergewaltigung gegen ihn von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt worden, die dieses im Februar letzten Jahres eröffnet hatte.

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Nein heißt Ja

Früher gab es öfter mal Spaßkloppe bei den Kindern in meiner Nachbarschaft. Spaßkloppe unterschied sich von »ernster« Keilerei dadurch, dass man dem Gegenüber nicht wehtun oder es erniedrigen wollte. Rumtoben, sich ausprobieren, spielen, darum ging es. Hätte man uns damals gefragt, hätten wir wohl gesagt, dass wir uns »aus Scheiß« gegenseitig hauen und dabei gelacht. Heute denke ich, dass es auch darum ging, einander nah und miteinander ungehemmt, ausgelassen sein zu können. Spaßkloppe, weil man sich mag.

Ich erinnere mich auch an die Art von Rangelei, die von den Erwachsenen um uns herum wohl in die Schublade »Spaßkloppe« einsortiert worden wäre, die für mich aber gar nicht so spaßig war. Damals hatte ich keine Worte dafür. Heute weiß ich, dass die Frage, ob ich überhaupt Nein sagen kann, die feine Linie zwischen leichtfüßigem und unangenehmem Körperkontakt bestimmt. Mein Nein war nicht viel wert. Weil ich in meiner Familie, in der Nachbarschaft und in der Schule meist das jüngste Kind, ein »kleines Mädchen« war, hatte ich weniger Möglichkeiten, Rangeleien zu entgehen, wenn Größere entschieden, dass sie aber lieber weiter mit mir raufen wollen.

Ich erinnere mich an die Art »Onkel«, der uns Kinder fast schon zwanghaft kneifen und kitzeln musste, obwohl wir beim ersten Anblick des bedrohlichen Besuchers schon das Weite gesucht hatten. Der halbe Spaß an der Freude schien für diesen Typ Mann zu sein, uns zu Körperkontakt zu nötigen, den wir nicht wollten. Obwohl vordergründig »lustig gemeint«, war das die Kehrseite des »spaßigen« Raufens: Es bereitete manchen Erwachsenen Vergnügen, meine Grenzen zu ignorieren. Mein Nein war für diese Männer eine Einladung – ein Zeichen, wo sie sich ihren Spaß nehmen können, wo mein Konsens aufhört. Nein hieß Ja.

Diese Erinnerungen stecken mir in den Knochen, in den Muskeln, in meinem Blick auf die Welt. Wenn ich zurückdenke an das Gejagtwerden von den lachenden Mittvierzigern, dann spüre ich die elektrisierende Anspannung meiner kindlichen Panik noch heute. Sie begleitete mich auch dann noch, als ich rational schon längst verstanden hatte, dass ich nun erwachsen bin und mich wohl – theoretisch gesehen – gegen die meisten Aufdringlichkeiten wehren könnte. Was mir fehlte war und ist die körperliche Erfahrung, dass es anders ist. Das Embodiment, wie man so schön sagt, die Verkörperung der neuen, relativen Sicherheit in der Welt.

Ich wurde gewissermaßen zum Push-Over erzogen, zu einer grenzenlosen Frau.

Im letzten Sommer war ich zum ersten Mal bei einer queeren Playfight-Gruppe. Playfight, das ist quasi Spaßkloppe mit Ansage. Eine Gruppe trifft sich und zwei Leute rangeln, hauen, beißen, kneifen, kitzeln sich, umringt von den anderen, die zuschauen. Vorher haben die Raufkumpan*innen besprochen, was sie mögen und was nicht passieren soll. Anders formuliert haben sie sich Zeit genommen herauszufinden, was Ja und was Nein ist. So gut es eben geht.

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Geh bitte! Harald Martenstein

Was ist noch schlimmer, als sich Harald Martensteins Kolumnen selber durchzulesen? Sie sich von ihm auf NDR.de vorlesen zu lassen. Da hört man dann nämlich, wie angestrengt »witzig« er alle Wörter betont, die er lächerlich findet. Studentisches »Re-gen-bo-gen-re-fe-rat« zum Beispiel. Oder »Pro-no-men-run-de«. (Komischerweise auch »Vi-de-ooo«.) Neben jeder dieser Aufnahmen prangt ein Foto, wie der langhaarige Provokateur seine witzigen Wahrheiten gestikulierend ins Mikro brummelt: »Damals waren die Sachen noch so und so…«. (…)

Kolumne für analyse&kritik vom 15. Dezember 2020